„Rechnung offen“

Inger-Maria Mahlke: "Ich beobachte mit großem Vergnügen"

Die Berliner Autorin Inger-Maria Mahlke Die Berliner Autorin Inger-Maria Mahlke

(be) Mit diesem Buch habe ich mich schwergetan, erst im zweiten Anlauf fand ich Zugang zu „Rechnung offen“ von Inger-Maria Mahlke. Zu verwirrend waren für mich die Vielzahl der Protagonisten und vor allem die erzählerischen Sprünge zwischen ihnen. Obwohl Inger-Maria Mahlke sich bemüht hat, den Berliner Bezirk Neukölln als Handlungsort zu verschleiern, wurde dies doch bald bekannt. Die Autorin, Jahrgang 1977, lebt selbst seit vielen Jahren in Neukölln. Worum geht es in dem Roman? Ein buntes Völkchen typischer Berliner Existenzen lebt in einem Mietshaus im Bezirk Neukölln, und jeder hat in diesem Haus eine Rechnung offen — mit den Nachbarn, sich selbst oder dem Leben. Auf den ersten Blick sind Mahlkes leidenschaftliche und akribische Beobachtungen sehr alltäglich und unspannend. Doch nach und nach offenbart sich das wahre Elend.

Dass der kaufsüchtige Claas Jansen eine leerstehende Wohnung im eigenen Mietshaus beziehen muss, hat weit mehr Gründe als die Bankenkrise. Und nicht nur er sieht sein früheres Leben in einem rasanten Abwärtsstrudel verschwinden. Am Scheidepunkt zwischen Kiezwirklichkeit und hipper Großstadt geht es um nicht minder Existenzielles: Jeder hat hier eine Rechnung offen — die afrikanischen Dealer, die ihre Schlepperkosten abarbeiten, der Hochstapler und die alzheimerkranke Alte, die Kurzzeit-Domina, ihr neunjähriger Sohn und andere Gestalten einer globalisierten Notgemeinschaft. Dies alles wird von der Autorin trocken, düster und detailliert geschildert.

Mahlkes Roman handelt von der Gentrifizierung, gerade auch in Berlin ein Thema, wo sich in vielen Stadtvierteln gewachsene Strukturen durch ökonomische Umwälzungen ständig verändern. „Ich beobachte mit großem Vergnügen“ sagt Mahlke und fügt hinzu, „bei mir gibt es aber genau wie im richtigen Leben keine Stimme aus dem Off, die alles erklärt. Den Kontext muss man sich in meinem Roman schon selber erarbeiten.“

Interview mit der Autorin:

Im Buch nimmt es übrigens mit dem Neuköllner Haus kein gutes Ende. Inger Maria-Mahlke fügt schmunzelnd hinzu: „Ja, das ist schlecht für die Menschen und gut für die Bausubstanz“.

Inger-Maria Mahlke, Rechnung offen, Roman, Berlin Verlag, 288 Seite, 19,99 Euro, ISBN-13: 9783827011305

 

Update 22.05.2014

Karl Arnold-Preis 2014 für Inger-Maria Mahlke

„Rechnung offen“ – der hochgelobte Roman der in Berlin lebenden Autorin Inger-Maria Mahlke wird pünktlich zum Erscheinen der Taschenbuchausgabe (Mai 2014) gleich mit zwei Literaturauszeichnungen geehrt. Zum einen spricht ihr die Kulturverwaltung des Berliner Senats für 2014 ein sechsmonatiges Arbeitsstipendium in Höhe von insgesamt 12.000€ zu. Zum anderen erhält sie den diesjährigen Karl Arnold-Preis der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Der Preis ist mit 10.000€ dotiert und wurde gestern Abend im Rahmen der Jahresfeier der Akademie in Düsseldorf an Frau Mahlke verliehen.

Die Jury der Akademie lobte insbesondere die Gegenwartsrelevanz des Werkes von Inger-Maria Mahlke: „In ihrem Roman „Rechnung offen“ skizziert sie ein Bild unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen. Ihre Figuren sind Verzweifelte und Suchende nach Zufriedenheit, Scheitern nicht ausgeschlossen. Sie beschreibt die Bruchstellen zwischen der Auflösung von Ordnung und Stabilität und dem Versuch, eine neue Ordnung zu finden. Dabei ist ihr Blick analytisch und scharf, aber frei von moralischen Wertungen. Ihre Sprache ist präzise, bestechend schnörkellos und auf das Wesentliche reduziert.“