Anika Vavic – Die Pianistin im Interview
Die serbische Pianistin in Berlin zu Gast
Für unser Interview treffen wir die serbische Pianistin Anika Vavic am Rande der Orchesterprobe im Großen Saal des Berliner Konzerthauses. Sie wird von einem Infekt geplagt, der durch den Einsatz eines Antibiotikums in Schach gehalten wird. Unser Interview im Beethovensaal findet trotzdem wie geplant statt. Wir freuen uns sehr, Anika Vavic zu treffen. Und nach kurzem Warmup mit unserer Moderatorin Diana Richter geht es auch schon los:
Diana Richter: Wie hat deine musikalische Laufbahn angefangen. Ich habe gelesen, deinen ersten großen Auftritt hast du im zarten Alter von acht Jahren gehabt, aber der eigentliche Moment, in dem du entschieden hast, Musikerin zu werden, war ein Jahr später. Wie fing es an bei dir?
Anika Vavic: Mit Sieben wusste meine Mutter nicht wohin mit mir. Sie hat gearbeitet und der Vater war im Ausland arbeitstätig. Da hat sie mich in die Musikschule gesteckt. Es war relativ langweilig, aber die Lehrerin musste irgendetwas mit mir machen. Sie schickte mich zu einem Wettbewerb, den ich dann gewonnen habe. Das hat mir unheimlich gefallen. Mit acht Jahren kam dann das erste große Konzert, und mit neun Jahren dieses Erlebnis, wo ich die Entscheidung für´s Leben getroffen habe. Ob gut oder schlecht? Im Nachhinein glaube ich sehr gut (lacht) Es war ein Konzert in Belgrad, die Stadt in der ich aufgewachsen bin. Es kam der ganz große Star, heute noch ein fantastischer Pianist, Ivo Pogorelich, nach dem nicht gewonnenen Chopin-Wettbewerb, er hat den zweiten Platz belegt. Martha Argerich, ebenfalls eine große Pianistin, hat hat in der Jury einen Skandal daraus gemacht. Seine Karriere hat daraufhin einen unglaublichen Anflug bekommen. Er kam nach Belgrad mit einem Chopin-Programm. Ich durfte alleine ins Konzert, die Karten waren ausverkauft und meine Eltern haben mich alleine hingeschickt. Ich war so begeistert von der Energie und der Musik, ohne Worte so angesprochen zu werden, dass ich gewusst habe, das möchte ich auch.
Diana Richter: Und das in so zartem Alter. Wenn dann der Anfang der Pubertät kommt, so mit 12/13 Jahren, dann interessieren sich „normale“ Teenager für Popmusik. Bei dir ist das tiefgründiger, die Leidenschaft zur Musik.
Anika Vavic: Vor Mozart waren es die Beatles, Santana und alles, was ich im Auto mit Papa gehört habe. Ich liebe das heute noch alles. Freddy Mercury, Queen liebe ich wirklich. Aber ich bin da richtig eingetaucht. Ich glaube es ist wichtig, dass ich damals Erfolg hatte. In meiner Schulklasse gab es ein Mädchen, das geschwommen ist, Wettbewerbe gewonnen hat und sehr beliebt wurde. Geliebt von der Lehrerin. Und ich wollte auch, dass mich die Lehrerin mag. Dann bin ich mit meinen ersten Preisen gekommen, das hat aber nicht so funktioniert. Aber es hat mir gefallen, dass ich mit dem was ich machte Erfolg hatte. Es hat mich keiner zum Üben gezwungen, das war wichtig. Sonst hätte ich es in der Form nicht gemacht. Mit zwölf oder dreizehn Jahren, wo sich die anderen für Popmusik und Jungs interessieren, war ich nur noch mit Prokofiev, Mozart und Beethoven beschäftigt. Es war eine Sucht oder Liebe. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob das ein Beruf sein wird oder nicht. Ich wusste, ich muss das machen.
Diana Richter: Eine Berufung sozusagen. Wie ging es dann weiter? Wo hast du studiert?
Anika Vavic: Durch einen Zufall bin ich in Wien gelandet. Eigentlich wollte ich zu Maria Tipo nach Genf. Ich hatte schon einen Termin bei ihr. Da war ich fünfzehn Jahre alt. Bei uns hatte schon der Krieg angefangen im ehemaligen Jugoslawien. Es war vollkommen klar, dass wir dort keine Zukunft mehr haben werden. Keine musikalische´, weil die besten Professoren schon im Ausland waren. Maria Tipo konnte in Genf nicht landen, weil es einen ungewöhnlichen Schneesturm gab. Ich habe sie erst spät abends kennengelernt. Sie hat mich aber ins Bett geschickt. Es wurde nichts mit dem Vorspielen. Eine Kollegin bekam das mit und sie sagte: Mit tut das sehr Leid für dich , ich habe einen tollen Lehrer in Wien. Möchtest du ihm nicht vorspielen? So bin ich mit sechzehn Jahren in Wien gelandet. Es war eine lustige Geschichte. Offenbar war dieser Ivo Pogorelich so ein roter Faden in meiner Kindheit, denn einen Tag nach der Aufnahmeprüfung hatte er ein Konzert in Wien. Ich musste also unbedingt bestehen, damit ich ins Konzert konnte. Ich habe bestanden und bin geblieben.
Diana Richter: Was war bisher so das größte Highlight in deiner musikalischen Karriere?
Anika Vavic: Man freut sich natürlich über die gelungenen Konzerte, ist enttäuscht, wenn man nicht das, was man sich überlegt hat zu präsentieren nicht so kommt. Das passiert im Laufe der Jahre immer wieder. Also das man eine ideale Vorstellung von einem Werk hat und sich das nicht erfüllt. Die Highlights waren nicht meine eigenen Auftritte, sondern die Begegnungen mit Musikern, die mir sehr viel gegeben haben. Zum Beispiel einer der größten Musiker aller Zeiten, Rostropowitsch. Und wie sich das ergeben hat, dass ich mit ihm arbeiten darf. Das ist eine Art Highlight in meinem Leben. Musikalisch gesehen. Durch Zufall. Ich habe einen Cellisten begleitet, der nach ganz viel Bemühungen eine Stunde mit Rostropowitsch bekommen durfte. Und am Ende der Stunde hat Rostropowitsch mich gefragt, ob ich die 8. Prokofiev-Sonate gespielt habe? Ich habe sie nicht drauf gehabt, hatte andere Prokofiev-Sonaten gespielt. Drei Wochen später sollte ich zu ihm nach Moskau kommen, weil er mir ein Geheimnis verraten wollte. Für mich war das ein Highlight oder Türöffner. Ein Moment, der ganz viele positive Folgen für mich hatte.
Mit 16 Jahren ging Anika Vavic nach Wien
Diana Richter: Du hast ja gerade erwähnt, 1992 hast du die Heimat Belgrad verlassen. Ein ziemlich großer Schritt für dich. Was hat dieser Schritt privat bei dir ausgelöst und was beruflich?
Anika Vavic: Ich bin ja alleine nach Wien gezogen. Meine Eltern mussten noch in Belgrad bleiben. Ich glaube, dass es eine mutige Entscheidung seitens meiner Eltern war, mich alleine nach Wien ziehen zu lassen. Es war nicht einfach, ich habe die Sprache nicht beherrscht. Ich hatte aber einen fantastischen Professor, aber plötzlich war das aus mit diesen Auftritten, wo ich nur die Lorbeeren gesammelt habe. Das war ich gewohnt in Serbien. Ich habe plötzlich gesehen, was ich nicht weiß. Das war kein Schock, aber nicht so angenehm. Ich habe mich eh zuhause verkrochen mit Dostojewski und Co. Meine Eltern konnten sicher sein, dass ich keinen Schwachsinn mache, denn ich habe entweder geübt oder gelesen. Privat war das ein harter Schritt. Aber Wien hat mir die Karriere ermöglicht. In Wien habe ich nicht nur einige Wettbewerbe gewonnen, sondern eine große Unterstützung erfahren seitens des Wiener Musikvereins und Konzerthauses. Damals auch Jeunesse musicale, die mich als Rising star durch die Welt geschickt haben. Wien war für mich ein tolles Sprungbrett.
Diana Richter: Vermisst du Belgrad ab und zu?
Anika Vavic: Die idealisierte Erinnerung an die Stadt oder Heimat ja. Es hat sich sehr viel geändert. Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren in Österreich. Es ist nicht mehr das, was es damals war in meiner Kindheit oder vor dem Krieg. Allerdings sehe ich da fantastische Entwicklungen. es ist sehr kreativ, authentisch, lebendig. Ich komme gerne nach Belgrad.
Diana Richter: Und jetzt möchte ich natürlich die Berlin-Frage stellen. Was ist für dich die Faszination an Berlin? Magst du diese Stadt wie die Heimat Wien? Wie oft bist du eigentlich zu Gast in unserer Stadt?
Das Interview mit Anika Vavic im Video
Anika Vavic: Viel zu selten. Doch die Stadt ist so pulsierend und faszinierend für mich. Ich würde Berlin gerne noch besser kennenlernen und entdecken. Aber die Stadt begeistert einen, das ist einfach so. Die Stärke, die Mischung, die Geschichte. Ich komme aus einem Land, in dem es nicht unähnlich war. Allerdings, wir hatten mehr Freiheiten. Ich kenne beide Seiten. Ich finde, dass es eine tolle Kraft hervorbringt, die man nicht unterschätzen darf. Was sich danach entwickelt hat (nach dem Mauerfall)
Diana Richter: Man sieht dich auf den weltweit größten Konzertbühnen, du hast in der Carnegie Hall einen Auftritt gehabt. Du sackst einen Preis nach dem anderen ein, zum Beispiel einen nach diesem Flügel benannten: Steinway. Was machen solche Auszeichnungen für dich aus? Gibt es vielleicht noch eine, die du unbedingt noch haben möchtest?
Anika Vavic: Ich will nur gut spielen. Ehrungen brauche ich keine. Ich brauche die Bühne, das Publikum und das mir gelingt, was ich mir vorgestellt habe. Der Gewinn vom Steinway-Wettbewerb war insofern interessant, oder prägend, weil in der Jury keine Professoren gesessen haben, sondern Veranstalter. Die haben mich glatt eingeladen, das fand ich toll bei dem Wettbewerb. Ich war jetzt selber vor drei Monaten in der Jury von einem ganz großen Klavierwettbewerb. Es fiel mir schwer, die Kandidaten zu beurteilen, weil jeder etwas tolles gebracht hat. Ich habe entschieden, dass ich die gewinnen lasse, die ich in zehn Jahren gerne im Konzert hören würde. Und da spielen schon andere Regeln eine Rolle. Es geht um die Musik. Es geht darum, was man sieht und was man erzählen will. Natürlich ist man heute gezwungen perfekt zu sein, es geht in diese Richtung. Aber man muss das zirkusantische mit aller Macht hemmen. Und die vielleicht etwas unschöne Entwicklung in dieser Branche mit etwas Eigeninitiative ein bisschen parieren, indem man sich an die holde Kunst klammert.
Diana Richter: Hast du eine Art Lebensmotto?
Anika Vavic: Ja, ehrlich sein.