Die goldenen 20er Jahre
Berlin als Zentrum einer Dekade voller Glitzer und Glamour
Berlin – heute der Inbegriff einer facettenreichen, multikulturellen Metropole, war schon in den 20er Jahren das Zentrum von Glitzer und Glamour: die goldenen 20er Jahre wurden hier ausgelebt und gefeiert wie kaum in einer anderen Stadt. Reflektiert in Kunst, Mode und Lebensstil, waren die „Golden 20s“ eine der bedeutendsten Dekaden der Geschichte Berlins.
Man versetze sich zurück in die frühen 20er Jahre in Deutschland, nach dem Ende des ersten Weltkriegs, als der Vertrag von Versailles Deutschland zu harten Reparationen und Gebietsverlusten zwang, in eine Zeit der Hyperinflation, Armut, Mangelernährung und Zukunftsangst. Mit der Einführung der Rentenmark 1924 nahm diese Phase ein Ende, der Weg zum zeitweiligen Aufschwung war geebnet, zumindest bis die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre Deutschland erneut in ein Tief stürzte. Was dazwischen liegt, ging als die „Goldenen 20er Jahre“ in die Geschichte ein – eine Zeit, in der vor allem in Berlin frivol, ausgelassen, provokant und euphorisch gelebt wurde.
„Der Tanz auf dem Vulkan“ wird diese Phase auch betitelt, synonym für eine riskante wie auch ungezügelte Lebensweise, und in der Tat wollte man in der deutschen Großstadt vor allem eines: Tanzen und das Leben in allen Zügen genießen. Das luxuriöse Hotel Adlon begrüßte Gäste zum Tanztee, der Kudamm wurde zur endlosen Partymeile, wo sich Künstler, Wirtschaftsmagnaten und Gauner gleichermaßen einfanden und die Nacht zum Tag machten, besonders nachdem erst 1918 das Tanzverbot aufgehoben worden war. Bekannt ist in diesem Zusammenhang vor allem die Bar Kakadu, wo Foxtrott, Charleston und Shimmy sämtliche Sorgen vertreiben sollten, und das auf einer gigantischen Fläche die sich über insgesamt fünf Ladengeschäfte erstreckte.
Gleichzeitig wurden auch die ersten Großkinos eröffnet, wie das Marmorhaus, Capitol und der Ufa-Palast – die Filme wurden damals zum Ende der Stummfilmzeit noch von einem Symphonieorchester begleitet. Regisseur Max Reinhardt baute in der Metropole gleichzeitig mit den Reinhardt-Bühnen ein wahres Theater-Imperium auf, während sich im Eden-Hotel Künstler und Stars gleichermaßen vereinten – regelmäßige Gäste waren hier Heinrich Mann, Gustaf Gründgens und Marlene Dietrich. Dort konnte man auf einer Dachterrasse inmitten eines Palmengartens Minigolf spielen, auch Poker Spiele und anderes Glücksspiel war populär und der Inbegriff eines frivolen Lebensstils.
Auch in Sachen Mode waren die 20er Jahre wegweisend, und auch heute noch ist der Stil der Dekade, der insbesondere in Berlin auflebte, berühmt: Die Frauen schnitten ihre Haare ab und trugen auf einmal im Zuge der neuen Emanzipation den bekannten „Bubikopf“, gepaart mit auffälligen Perlenketten, Stolas und Boas, Handtaschen und Stirnbändern. Natürlich durften dabei auch die endlos langen Zigarettenspitzen nicht fehlen. Pompös wirkte auch die Herrenmode, samt Sakkos mit verstärkter Brust, um die Träger muskulöser wirken zu lassen, während ihre Frisuren streng seitlich gescheitelt und glatt zurückgelegt waren. Die Stiefel der Vergangenheit wurde bei den Männern durch leichtes Schuhwerk ersetzt, während zum Smoking am Abend auch ein Lackschuh getragen wurde.
Auf den Plätzen der Stadt, sei es dem Alexanderplatz wie auch dem Potsdamer Platz, pulsierte das Leben der Stadt, nachts hell erleuchtet von gigantischen Reklameflächen. Ein Besuchermagnet am Potsdamer Platz, das nicht nur Einwohner der Stadt, sondern auch zahlreiche Besucher aus ganz Deutschland anzog, war das „Haus Vaterland“. 1928 wurde es zu einem gastronomischen Vergnügungstempel umgebaut – mit damals sagenhaften zwölf Restaurants, unter anderem einem türkischen Café, einem Bierhaus, dem Wiener Weinlokal Café Grinzinger, einer spanische Bodega sowie dem „Blockhaus in der Prärie“ im Wild-West-Stil, in dem sogar künstliches Wetter erzeugt wurde, das sich stündlich änderte. Insgesamt 8.000 Plätze umfasste der Entertainment-Palast. Im Varieté-Theater des Entertainment-Komplexes traten viele Berühmtheiten der Zeit auf, unter anderem Trude Hesterberg, Irene Ambruß sowie Hester Harvey. Für Furore sorgte auch Theo Lucas in seiner schwulen Darbietung von Schlagern – ein deutliches Zeichen größerer Liberalität in der deutschen Metropole.
Auch in Sachen Drogen zeigte sich das Berlin der Goldenen 20er freizügig. Der Handel von Kokain war zwar verboten, wurde jedoch weitgehend geduldet und zum Nebenverdienst für zahlreiche Party-Gänger, die zwischen den Lokalen und Nachtclubs pendelten. Als Kokain-Dealer bekannt war nicht zuletzt der Schriftsteller und Drehbuchautor Carl Zuckmayer, der später zugab aus Not heraus vor dem Kaufhaus des Westens Koks verkauft zu haben, während Klaus Mann die Drogenhölle Berlins euphorisch wahrnahm, und schrieb: „Die Romantik der Unterwelt war unwiderstehlich. Berlin enthusiasmierte mich durch seine schamlose Verruchtheit.“ Die Drogenexzesse der Bars führten zu Nacktheit und sexuellen Ausschweifungen, hin zu einem Trend der als „Heteronormativität“ beschrieben wird: Frauen schliefen mit Frauen, und Männer mit Männern, was zu dieser Zeit niemanden schockierte.
Die goldenen 20er Jahre, eine Glanzzeit, die mit der Wirtschaftskrise ein abruptes Ende nahm und auf die eine der dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte folgte, liefern heute noch Inspiration und Stoff für zahlreiche Filme. Die erfolgreiche ARD-Show „Babylon Berlin“ thematisiert die Dekade in mittlerweile 28 Folgen und macht Lust mehr über diese einzigartige Dekade zu lernen. Auch die Mode aus dem Berlin der 20er Jahre ist nach wie vor beliebt, bei Mottopartys, privaten Casino-Abenden oder Tanzveranstaltungen, wenn es dabei besonders glamourös zugehen soll. Die „Roaring Twenties“ liegen mittlerweile im Fashion-Bereich sogar wieder voll im Trend und werden alltagstauglich gemacht – wie beispielsweise Hosenanzüge im Stil von Marle Dietrich, Charleston-oder Pailletten-Kleider, breite Stirnbänder, Glockenhüte oder auch lange, elegante Handschuhe. Auch bekannte Schuhe der Ära sind nach wie vor angesagt, wie „Mary Janes“ oder flache, maskulin wirkende Schnürschuhe, kombiniert mit weißem Hemd oder Anzughose – damals ein Zeichen der Emanzipation, heute ein cooler Vintage-Look.